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Steingaden: Wunder des bayerischen Barocks

Die kleine bayerische Gemeinde Steingaden mit ein bisschen weniger als dreitausend Einwohnern zieht jährlich rund eine Million Touristen an. Das Geheimnis ihrer Popularität liegt in dem Meisterwerk des deutschen Barocks – die Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies. Diese wunderschöne Kirche befindet sich fünf Kilometer südöstlich von Steingaden. In der Gemeinde blieb die Stiftskirche aus dem 12. Jahrhundert mit ihrer reichen Innenausstattung im Rokoko-Stil erhalten.

Die Gemeinde Steingaden wuchs rund um das Kloster Steingaden herum. Dieses katholische Kloster gründete der Markgraf von Toskana und der Herzog von Spoleto Welf VI. im Jahre 1147. Die Klosteranlage wurde im romanischen Stil erbaut. Im 15. Jahrhundert wurde das Kloster in den gotischen Stil erneuert, woran heute insbesondere, die Freitreppe erinnert. Nach dem großen Brand im 16. Jahrhundert wurde das Kloster restauriert und mit dem Chor im Renaissance-Stil ergänzt. Aus dem 16. Jahrhundert stammen auch die Fresken mit der Geschichte des Geschlechtes Welfen an der Nordwand. Ende des 16. Jahrhunderts erhielt die Kirche Altäre im Barock-Stil. Nach der Säkularisierung Anfang des 19. Jahrhunderts wurde bedauerlicherweise der größte Teil des Gebäudes zerstört, jedoch blieb das Welfenmünster erhalten. Die große Rekonstruktion begann in den 1950er Jahren und dauert bis heute an.

Über die 650 Jahre alte Geschichte vom Kloster der Prämonstratenser im Steingaden kann man heute im Klostermuseum im Pfarrhof mehr erfahren. Man kann immer noch die besondere Atmosphäre nicht nur im Kloster selbst, sondern auch im Klostergarten St. Johannes spüren. Die hiesigen Einwohner legten im Garten das Steinlabyrinth für meditative Spaziergänge an.

Als die Hauptattraktion in Steingaden gilt aber die Wallfahrtkirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies. Diese einzigartige Kirche befindet sich nur fünf Kilometer von der Stadt entfernt. Die Entstehung der Kirche in Wies begann mit Tränen. Im Jahre 1732 wurde die hölzerne Figur des gegeißelten Heilands in Steingaden während eines Kreuzzuges gebracht und anschließend in der Klosterrumpelkammer untergebracht. Drei Jahre später fand sie sich auf dem Bauernhof der Bäuerin Maria Lory in Wies. Am 14. Juni 1738 bemerkten Maria und ihr Mann die Tränen auf dem Gesicht des Heilands. Die Nachricht über das Wunder verbreitete sich schnell in der Gegend und ab da begann die Wallfahrt zur Statue. Bald stieg die Anzahl der Pilger so sehr an, dass klar wurde: man sollte dafür eine Kirche erbauen. Die erste Kirche wurde im Jahre 1740 errichtet. Sie ist übrigens bis heute erhalten geblieben und um sie herum befindet sich jetzt ein Parkplatzgelände. Auch nach Unterbringung der Statue in der Kirche zog es weiterhin stetig tausende von Pilgern an. Deswegen 1745 beschloss der Abt des Klosters in Steingaden, Marinus Mayer, in dieser Gegend eine große Kirche erbauen zu lassen. Heute ist bei der Kirche das Museum eröffnet. Vom Mai bis September finden in der Wallfahrtskirche in Wies Konzerte der klassischen Musik im Rahmen des Festes der «Festliche Sommer in der Wies» statt.

In Steingaden verehrt man Traditionen sehr. Zu einer Tradition gehört beispielsweise das beliebte bayerische Gebäck «Knieküchle», definitiv ein Muss. Es wird aus Hefeteig zubereitet. Dabei soll die Mitte der Knieküchle unbedingt dünn sein und der Rand dick. Knieküchle wird in siedendem Öl gebraten und mit Puderzucker bestreut. Einer Sage nach entstand diese Art des Gebäcks, als die bayerischen Frauen den Teig so dünn ausgerollt hatten, dass durch ihn eine Liebesbotschaft zu lesen war.

Andere Traditionen beziehen sich auf die Feiertage. Am ersten Sonntag nach dem Aschermittwoch legen Einwohner Steingadens das sogenannte Funkenfeuer an, um den Winter zu vertreiben. Eine andere Tradition ist mit dem Einrichten des ersten Maibaums verbunden. Dieser wird weiß-blau gefärbt und mit traditionellen Figuren und Werken der hiesigen Handwerker verziert. Der Baum wird dabei versteckt und geschützt, da nach der Tradition die Einwohner der benachbarten Städte versuchen, den Baum am Vorabend des Festes zu stehlen. Im Falle eines Erfolgs senden die «Diebe» den Baum im Austausch für die vereinbarte Menge an Bier und Essen zurück. Als eines der spektakulärsten Feste in Steingaden gilt der Ulrichstag am 4. Juli. An diesem Tagsammeln sich auf dem Marktplatz, um neun Uhr, etwa 100 Reiter in Trachtenkleidungen aus allen umliegenden Dörfern. Von dort aus folgt der Zug nach Kreuzberg, welcher drei Kilometer südlich von Steingaden liegt. Um 10 Uhr findet in der Kreuzbergkirche der Gottesdienst statt und danach wird auf der Wiese neben der Kirche die Zeremonie der Pferdesegnung, deren Mähnen an diesem Tag festlich mit Blumen geschmückt werden, veranstaltet. Diese Tradition reicht bis ins Mittelalter zurück, als man auf solche Weise versuchte, Pferde vor der Pest zu schützen.

Das bescheidene Steingaden mit seiner luxuriösen Wallfahrtkirche ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Wo, wenn nicht an solchen Orten, kann man den Flug der Seele empfinden und die Kunstfertigkeit von Architekten und Künstlern, die das Kircheninterieur erschaffen haben, bewundern?! Dieses Meisterwerk des bayerischen Barocks bleibt sicherlich bei jedem Besucher auf ewig in Erinnerung...

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